Das Radio

Da gibt Tamsin sich wochenlang Mühe, ihre MC Kassetten per PC zu digitalisieren, wobei stets akribisch darauf zu achten ist, dass die Lautstärke angenehm eingestellt ist, und nun findet sie heraus, dass ihr billiges Flohmarktradio von Kassette direkt auf USB aufnehmen kann. Hätte sie das früher herausgefunden, hätte ihr das viel Arbeit erspart. „Da kauft man ewig nur Elektroschrott, und plötzlich das!“ 

Tamsins Zahnfleisch

Tamsins Zahnfleisch ist geschwollen, dort, wo das Kaugummi ihren Zahn bedeckte. Ihre Zunge ist rot und aufgekratzt, weshalb sie heute doch zum Zahnarzt ging. Sieben Tage hätte sie das niemals ausgehalten! Kurzerhand wurde die gesamte, störende Ecke abgeschliffen. Nun kratzt nichts mehr, doch ihre Mundhöhle fühlt sich so stark entzündet an, dass sie selbst am Abend kaum etwas isst.

Tamsin hatte vor, ihren Schreibtisch zu lackieren. Doch nun hat sie Angst vor einer Zahnfleischentzündung. „Womöglich war in dem Kaugummi etwas, worauf allergisch bin. Das würde die Rötung erklären.“ Also verbringt sie den Rest des Tages vor dem Fernseher. „Das habe ich schon lange nicht mehr gemacht. Einfach mal nur im warmen Bett sitzen und Filme schauen. Alles Sorgen bei Seite legen.“ Sie genießt den Augenblick. „Es gibt nichts Schöneres, als lang gesuchte Filme aus alten Zeiten wiederzufinden. Das weckt Erinnerungen…“ Gerne würde sie als nächstens KingKong schauen. Die alte Originalversion! „Mal schauen, ob die Zeit reicht und ich nachher nicht zu müde bin.“

In der kommenden Woche wird Tamsin eine neue Maßnahme ausprobieren. Eine, die angeblich genauso sein sollte, wie ihre Vor-vorige. Tamsin ist aufgeregt. Aufgrund ihre psychischen Probleme hätte sie womöglich ablehnen können, aber sie möchte es gerne versuchen. „Es tut gut, unter Menschen zu sein. Unter netten Menschen! Etwas erleben, und sei es nur Unterricht.“ Tamsin hofft, dass diese Maßnahme das verspricht, was sie erwartet. Anders als ihre Vorige, in der sie wegen ihrer Ängste verurteilt wurde. „Ich weiß, dass derjenige, der mich damals unnachgiebig gedrängt hatte, mich im Schnee zu den Rauchern zu stellen und mich den Gesprächen anzuschließen, nur gut gemeint hat.“ Wäre es Sommer gewesen und litt Tamsin nicht an einer solch starken Abneigung gegen Zigarettenrauch – Passivrauchen ist sehr schädlich, okay? – hätte sie dem sehr wahrscheinlich nachgegeben.

Tamsins nervige Zahnprobleme

Tamsin will endlich ihren Roman fertig schreiben. Fleißig arbeitetet sie daran. Außerdem lenkt die Tätigkeit sie von anderen Dingen ab. Am frühen Morgen hatte sie bereits eine kleine, depressive Downphase aufgrund ihres Zahnes. Das Kaugummi, dass sie ständig darüberlegt, scheint ihrem Zahnfleisch auf Dauer nicht gut zu tun. Doch ihr Zahnarzt Termin ist erst nächste Woche. Ihre Mom hat ihn extra so für sie gemacht, weil sie Urlaub hat und keine Lust auf Tamsins nervige Zahnprobleme hat. Tamsin ist betrübt, hat keine Lust zu gar nichts. „Es wäre schönes Wetter, um am Strand Eis zu essen.“ Aber das ist ihr letztlich auch egal. Tamsin will nur, dass die nächsten sieben Tage so schnell wie möglich vorübergehen. Die Schmerzen sind unermesslich. Sie kann nicht sprechen, nicht essen, ohne dass es an der Zunge kratzt.

Gerne würde sie sich in den Garten setzen. Etwas lesen. Doch ihr fehlt die Motivation. Im Treibhaus steht ein Topf mit altem Waldklee. Es ist erstaunlich, dass der sich den ganzen Winter über dort so gut gehalten hat. „Wenigstens einmal etwas Schönes auf dieser höllischen Welt.“

In letzter Zeit ist Tamsin eher selten im Chat unterwegs. Und wenn, dann macht sie sich einen Spaß daraus, die Perversen, die nur da sind, um Frauen mit ihrem versauten Dreck zu bedrängen, zu verarschen. „Tja, es ist amüsanter als wie am Fließband Standartfragen zu beantworten. Sobald sie jedoch merken, dass für sie keine versauten Spielchen herausspringen, ziehen sie leine.“ Und wieder wird es langweilig.

Zeitlich schreibt Tamsin mit einem Mann, den sie vor einigen Jahren in einer Zeit, in der Chats nicht nur von Perversen überrannt wurde, kennengelernt hat. Er ist nett. Höflich. Wohnt jedoch sehr, sehr weit weg. Gerne würde er Tamsin im Sommer an der Ostsee besuchen. Tamsin betet dafür, dass sich bis dahin bezüglich eigener Wohnung etwas bei ihr tun wird.

Moms Geburtstag

Tamsins Mom hat heute Geburtstag. Die Verwandtschaft kam. Es gab Marmorkuchen mit Kirschen, den Tamsin aber nicht mochte, weil sie schon von Geburt auf an keine süß-sauren Obstkuchen mag. „Erwachsenen-Geburtstage laufen immer gleich ab. Zuerst saßen wir in der Stube, wo die üblichen Dialoge geführt worden: „Wie geht’s? Wie läuft’s auf der Arbeit? Ist das dieses Clola-Glas Grau oder Violett?“ Danach ging es für eine Weile in den Garten. Das Wetter war herrlich. Fast wie Sommer. „Ich wünsche mir einen Sommer, der von April bis September geht! Wie vor einigen Jahren. Die Sommer der letzten beiden Jahre waren ja der reine Herbst. Es gab wenige heiße Tage, an denen man mal ohne Jacke nach draußen konnte.“ 

Abends haben sie sich dann die Döner geholt. „Eigentlich wollten wir essen gehen, aber da heute Montag ist haben alle Restaurants Ruhetag.“ Schade.

Außerdem haben sie den Laptop zur Post gebracht – nachdem sie die spezielle Paketstelle, für die der Rücksendeschein ausgestellt war, gefunden hatten. Tamsin hat Angst, dass die vorhandenen Mängel am Gerät gegen sie verwendet werden und die Rückzahlung deswegen geringer ausfällt. „Am liebsten hätte ich es denen wütend ins Telefon geschrien, warum die mir ohne mich vorher zu informieren ein Gebrauchtgerät zusenden!?“ Wenn Tamsin Pech hat, und das wäre ja nichts Neues, sitzt sie morgen ohne Laptop und ohne Geld da.