Samstag, 11. November 2017

Selbstlosigkeit

 
Oft fragt Tamsin sich: „Warum bin ich wie ich bin, und warum kann ich nicht sein, wie ich sein will?“

Tamsin hat so viel Unglück. Tamsin denkt nur an ihr eigenes Glück. Will es erzwingen, aber bekommt es nie. Sie war schon immer gierig. Hat nie geteilt und denkt selbst, wenn sie anderen hilft nur an ihren Vorteil. An Anerkennung und die Macht, die man hat, wenn man etwas kann, was andere nicht können. Man kann sein Wissen - wie bei der Computerarbeit -  verbreiten und bestimmt dabei, wieviel und an wen. Die anderen sind dabei wie Untertanen, die danach gieren und einem mit ihrer Hilflosigkeit das Gefühl der Überlegenheit geben.

Seit einiger Zeit grübelt Tamsin darüber nach, ob dies der Fehler ist, durch den das Schicksal sie zu dem macht, was sie ist. Allein. Unzufrieden. Unglücklich. „Vielleicht sollte ich lernen, selbstlos zu werden?“ Sich nicht an Überlegenheit erfreuen, sondern an der Dankbarkeit, die man erntet. Nicht zu warten, bis andere kommen und bitten, sondern einfach aus freien Stück anbieten – auch, wenn es nicht gebraucht wird. Wenn es ein Kuchen ist, den man kauft. Etwas Materielles.

Tamsin hat oft von den „Zeugen Jehovas“ gehört. Oft wundert sie sich über Geschichten die sie hört. Bis heute, als sie es selbst erlebt hat. „Ich habe meinen eigenen Glauben und konnte dem Mann, der mir etwas über seinen Gott erzählt hat, nicht ernst nehmen.“ Tamsin glaubt nicht direkt an „Gott“. „Ich glaube an das Schicksal. Und an das Böse auf dieser Welt.“ Vielleicht sogar an die Unterwelt.
Naja, jedenfalls erhielt sie dann ein Prospekt in dem es um das Thema „Schenken“ geht. Welch ein Zufall. „Es gibt keine Zufälle.“ Aus Neugier heraus liest Tamsin sich das einmal durch. Einfach so. Man sollte nichts verachten oder ablehnen, ohne es zu kennen.

Wenn es aber wirklich eine höhere Macht gibt, ganz gleich, wie sie heißen mag: „Was will sie mir damit sagen?“ Soll Tamsin wirklich umdenken? Sich verändern und diese Phase nicht nur wie ein Diätprogramm, das man abbricht, sobald der Hunger zu groß wird, fallenlassen?

Gestern war Freitag und nach dem WG Frühstück fährt Tamsin immer in die Maßnahme. Auf dem Weg hört sie Musik, so ist das Laufen nicht so anstrengen. Selbst wenn es Regnet und sie ihren Schirm nicht aufspannt, weil dann ihre hochgehaltenen Finger so kalt werden. Ihre Chefin unterstützt sie dabei, eine Freundschaft zu einer Kollegin erblühen zu lassen. Tamsin wundert sich sehr darüber, dass jemand mit ihr Befreundet sein will, wo es doch dutzende andere Menschen gibt, mit denen man sich viel wohler fühlen könnte, als mit der seltsamen, schüchternen Tamsin.
Nach der Maßnahme wurden sie früher rausgelassen, damit sie zusammen etwas unternehmen konnten. Viel gibt es da nicht, daher stöberten sie ein wenig in Kik rum, bis Tamsins Bus kam.
Einerseits hat Tamsin sich so etwas schon immer gewünscht. Andererseits ist sie sich nicht sicher, wie sie damit umgehen soll und fürchtet, es letztlich doch wieder zu vermasseln. Entweder, weil ihre Ängste doch zu stark werden. Oder weil erkannt wird, dass Tamsin doch zu sonderbar ist, um mit ihr klarzukommen.

In ihrer WG hat sie jemanden entdeckt, der sich ebenfalls gerne mit Videobearbeitung beschäftigt, jedoch selbst keine guten Programme hat.  Hmmm. Eine Gemeinsamkeit, die verbindet.
Doch Tamsin traut sich wieder nicht, ihre Ängste zur Seite zu schieben.


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